Die Fransenfledermaus findet, was die Teichfledermaus nicht findet

Die fünf europäischen Arten Fransen-, Wimper-, Teich- und Wasserfledermaus sowie die Kleine Bartfledermaus haben ähnliche Flügelformen, gehören zur Gattung Myotis und sind nah verwandt. Sie teilen auch die gleichen Lebensräume. Zu allem Überfluss fressen sie alle gerne fliegende Insekten und an Fäden hängende Spinnen, die sie durch Echoortung zwischen den Blättern der Vegetation aufspüren. Dr. Björn M. Siemers und Prof. Hans-Ulrich Schnitzler vom Zoologischen Institut der Universität Tübingen haben nun herausgefunden, wie jede der fünf Arten bei dieser harten Konkurrenz dennoch eine eigene Nische besetzen kann: Die Echoortungssignale der verschiedenen Fledermäuse zeigen deutlich unterscheidbare Muster. Damit ist die Fähigkeit der Arten, ihre Beute auf einem störenden Hintergrund auszumachen, unterschiedlich gut entwickelt. In der Praxis dürfte der Speisezettel jeder Fledermausart daher etwas anders aussehen. Wasser- und Teichfledermaus jagen häufig auch über offenen Gewässern und überlassen Waldrand und Baumkronen den Verwandten. Die Tübinger Tierphysiologen gehen davon aus, dass solche Unterschiede in der Sinnesökologie allgemein eine wichtige Rolle in der Strukturierung von Gesellschaften konkurrierender Tierarten spielen könnten. Ihre Forschungsergebnisse werden in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Nature (Band 429, Seiten 657-661, 10. Juni 2004) veröffentlicht.

Echoortende Fledermäuse stoßen auf dem Jagdflug für den Menschen unhörbare Suchrufe aus, deren Echo von den Objekten in der Umgebung zurückgeworfen wird und den Tieren eine Art akustisches Bild liefert. Die Fledermäuse stört es nicht, wenn es dabei stockfinster ist. Auch den Geruchssinn setzen sie nicht immer ein, denn im Experiment flogen sie geruchlose Gummiimitate ebenso als Beute an wie echte Mehlwürmer. Doch die Flattertiere haben oft Probleme, die Echos, die von Beutetieren zurückgeworfen werden, von denen anderer Strukturen wie Blättern, Ästen oder Grashalmen zu unterscheiden.

Die Tübinger Forscher haben wild lebende Fledermäuse der verschiedenen Myotis-Arten vorübergehend gefangen und in einem Flugzelt Mehlwürmer allein durch Echoortung aufspüren lassen. Die Vegetation wurde durch eine Kunststoffwand imitiert, die mit zahlreichen Gumminoppen besetzt war. Keine der Fledermäuse konnte unter diesen Bedingungen einen Mehlwurm direkt auf dem störenden Hintergrund ausmachen. Befand sich der Leckerbissen jedoch 25 bis 50 Zentimeter vor dem Hintergrund, machten praktisch alle Fledermäuse erfolgreich Beute. Interessant wurde es in einem engen Bereich: Wenn der Abstand des Mehlwurms zum Hintergrund nur fünf bis zehn Zentimeter betrug, hatten die verschiedenen Fledermausarten deutlich unterschiedliche Jagderfolge: Die Fransenfledermäuse konnten die Beute noch sehr dicht vor der Noppenwand ausmachen, in absteigender Reihe taten sich Wimperfledermäuse, Kleine Bartfledermäuse, Wasser- und Teichfledermäuse damit immer schwerer.

Unterschiede bei der Jagd der verschiedenen Arten fanden sich bei den Suchrufen der Tiere zur Echoortung: Die Fransenfledermaus beginnt mit einer besonders hohen Startfrequenz ihrer Rufe und deckt bis zur Endfrequenz einen sehr weiten Wellenlängenbereich ab. Bei einer hohen Frequenz sind die seitlichen Störechos des nahen Hintergrunds geringer, das Echo der Beute lässt sich leichter abgrenzen. Die Wissenschaftler nehmen auch an, dass die Fledermäuse durch einen breiten Frequenzbereich der Suchlaute mehr Informationen über ihre Umgebung erhalten, sozusagen ein schärferes Bild. Sie vermuten, dass sich die im Versuch erfolgreicheren Jagdfähigkeiten bei den Myotis-Arten in der Evolution zweimal unabhängig voneinander herausgebildet haben. Denn eine nahe Verwandte der „Siegerin“ Fransenfledermaus ist die Wasserfledermaus, die nur den vorletzten Platz belegte. Ihre Echoortungsrufe umfassen ein deutlich kleineres Frequenzspektrum, sie kann Beute vor störendem Hintergrund schlecht erkennen. Dagegen schneidet die nach genetischen Analysen weiter entfernte Verwandte Wimperfledermaus am zweitbesten ab.

Die Wissenschaftler geben mit dieser Studie einen Einblick, wie sich konkurrierende Arten nur durch recht geringe Unterschiede in den Sinnesfähigkeiten in einer Tiergesellschaft jeweils eine eigene Nische schaffen könnten.

Nähere Informationen:
Dr. Björn Siemers
Donnerstag (Fronleichnam) und Freitag, 10. bis 11. Juni: mobil 0160/96508725

sonst:
Dr. Björn Siemers
Prof. Hans-Ulrich Schnitzler
Zoologisches Institut
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