Zeitenwende im Artenschutz – Gesetzesänderung entgegen wissenschaftlicher Evidenz

Experten schlagen Alarm – der Artenschutz kommt bei den Gesetzesänderungen zum Ausbau der Windenergie deutlich zu kurz

Alarmierende Zahlen und dringende Appelle: Der Ausbau der Windenergie droht zum Albtraum für unsere geflügelten Freunde zu werden. Expertinnen und Experten schlagen Alarm und enthüllen verheerende Auswirkungen auf die Fledermauspopulationen, die die aktuellen Gesetzesänderungen mit sich bringen können. Während der Kampf gegen den Klimawandel an Fahrt gewinnt, gerät der Artenschutz immer mehr ins Hintertreffen. Doch es gibt Lösungen, und wir müssen handeln.

In einer Welt voller Umweltprobleme stehen der Klimawandel und das Artensterben ganz oben auf der Agenda – beiden Problemen sind wir uns bewusst. Doch leider gibt es oft Konflikte zwischen Maßnahmen zum Klimaschutz und dem Schutz der Artenvielfalt. Ein solches Beispiel ist der Ausbau der Windenergie, bei dem Vögel und Fledermäuse häufig zu Opfern werden. Unser Anliegen ist es daher, Lösungen zu finden, die den Schutz der Fledermäuse beim Ausbau der Windenergie gewährleisten. Wir sind überzeugt, dass eine Energiewende möglich ist, die den Artenschutz ernst nimmt und effektive Lösungen bietet.

In Deutschland kommen ca. 25 Fledermausarten vor, von denen einige, wie der Abendsegler oder die Rauhautfledermaus, besonders häufig Opfer von Windparks werden. Darüber hinaus werden viele weitere Arten durch den Ausbau von Windkraftanlagen im Wald in ihren Lebensräumen gestört, da ihre Quartiere und Jagdhabitate verschwinden.

Die jüngsten Gesetzesänderungen verschärfen das Problem weiter, indem sie den Ausbau der Windenergie auf Kosten der Natur erleichtern. In einer wissenschaftlichen Studie haben Fachleute der Deutschen Fledermauswarte sowie weitere Experten aus dem Bereich Windkraft und Artenschutz die aktuellen Gesetzesänderungen sowie wissenschaftliche Studien ausgewertet und Maßnahmen vorgeschlagen, um den Schaden für die Fledermauspopulationen zu begrenzen.

Besonders besorgniserregend aus Sicht des Artenschutzes ist, dass nun sogar Landschaftsschutzgebiete für den Bau neuer Windparks herangezogen werden, ohne dass Artenschutzgutachten erforderlich sind. Dies bedeutet, dass die Standorte für Windkraftanlagen nicht mehr im Voraus auf das Vorkommen von Fledermäusen (oder Vögeln) überprüft werden sollen, wie es seit Jahrzehnten üblich ist. Dies ist insbesondere alarmierend, da jährlich etwa eine Viertel Million Fledermäuse getötet werden, weil viele Anlagen noch keine Abschaltzeiten haben oder die bestehenden Abschaltzeiten von den Behörden nicht kontrolliert werden.

In unserer Studie fassen wir die wichtigsten Konflikte zwischen Windparks und Fledermäusen in Deutschland zusammen und schlagen konstruktive Lösungen vor. Wir fordern unter anderem ausreichende Abschaltzeiten an allen Windenergieanlagen sowie eine Begrenzung der akzeptierten Verluste von Fledermäusen auf weniger als ein Individuum pro Jahr und Anlage. Außerdem plädieren wir dafür, Wälder und Landschaftsschutzgebiete von Windenergieanlagen freizuhalten und Mindestabstände zu Schutzgebieten und Quartieren einzuhalten.

Als Expertenkollektiv wissen wir, dass Klimaschutz wichtig ist und wir betonen, dass wir den Einsatz erneuerbarer Energien unterstützen. Doch wir können nicht akzeptieren, dass dies weiterhin auf Kosten der Natur geschieht, die bereits unter zahlreichen anderen Bedrohungen leidet. Wir fordern daher eine artenschutzfreundliche Energiewende, die auch die Bedürfnisse der Fledermäuse und anderer Tiere berücksichtigt und ihre Lebensräume schützt.

Pressemitteilung „Deutsche Fledermauswarte

 

Download Expertenpapier: Mathgen, X., Fritzsche, A., Arnold, A., Bach, L., Gager, Y., Harder, J., Knörnschild, M., Meyer, F., Porschien, B., Seebens-Hoyer, A., Starik, N., Straka, T., Fritze, M. (2024): Zeitenwende im Artenschutz – Aktuelle Gesetzesänderung versus wissenschaftliche Evidenzen beim Fledermausschutz und dem Ausbau der Windenergienutzung. Nyctalus 20 (3-4), S. 182-202. Expertenpapier frei zum Download

Windräder in Wäldern beeinträchtigen bedrohte Fledermausarten

Um Klimaschutzziele zu erreichen, boomt in Deutschland der Ausbau erneuerbarer Energien – insbesondere der Windkraft. Mehr als 30.000 Anlagen wurden bislang auf dem Festland installiert, jetzt beginnt ein Ringen um weitere, rarer werdende, geeignete Standorte. So rücken auch Wälder als Standorte in den Fokus. Ein Forschungsteam des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) wies jetzt in einem Aufsatz in der Fachzeitschrift „Current Biology“ nach, dass die Windenergieerzeugung an diesen Standorten mit erheblichen Nachteilen verbunden für bedrohte Fledermausarten sein könnte: Große Abendsegler (Nyctalus noctula) haben ein hohes Kollisionsrisiko und sind vermehrt an Windkraftanlagen in Wäldern anzutreffen, wenn diese in der Nähe von ihren Quartieren stehen. Fern der Quartiere meiden Große Abendsegler jedoch die Anlagen, was praktisch zu einem Lebensraumverlust für diese Art führt.

Große Abendsegler leiden den Ergebnissen der Untersuchung nach doppelt unter dem Windenergieausbau im Wald: Sie sind der wachsenden Gefahr ausgesetzt, mit den Anlagen zu kollidieren und dadurch getötet zu werden, wenn diese in der Nähe von Fledermausquartieren gebaut werden, und sie verlieren einen Teil ihres Jagdlebensraumes, da sie die Anlagen fern ihrer Quartiere meiden. In ihrem Aufsatz folgert das Team aus den Resultaten, dass der Windkraftausbau in Wäldern mit großer Sorgfalt und Umsicht erfolgen muss. Zu Quartierstandorten von Fledermäusen sollte ein Mindestabstand von 500 m eingehalten und der verursachte Lebensraumverlust kompensiert werden, indem an anderer Stelle Wälder aus der Nutzung genommen werden.

Die Windenergieproduktion ist ein wichtiges Standbein für die Energiewende in Deutschland und leistet einen erheblichen Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen. Mehr als acht Prozent der Windkraftanlagen in Deutschland befinden sich bereits in Wäldern. Ihr Anteil soll in den nächsten Jahren deutlich zunehmen, weil geeignete Standorte in der offenen Fläche rar werden. „In Wäldern kommt eine Vielzahl von Fledermausarten vor, da es hier viele Baumquartiere und zudem viele geeignete Jagdlebensräume mit hohen Insektenvorkommen gibt“, sagt Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Leibniz-IZW. „Darunter sind auch Arten wie der Große Abendsegler, der in Deutschland am häufigsten an Windkraftanlagen zu Tode kommt. Laut dem Bundesamt für Naturschutz nehmen die Bestände dieser Art deutschlandweit ab. Es ist deshalb dringend geboten, die Interaktion der Fledermäuse mit den Windkraftanlagen im Wald genauer unter die Lupe zu nehmen.

Voigt und seine Kolleg:innen untersuchten das Raumnutzungsverhalten von Großen Abendseglern mit Hilfe miniaturisierter GPS-Logger. Diese Logger dokumentierten die Flugpfade von 60 Großen Abendseglern mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung über 1-2 Nächte, bevor die Logger selbständig wieder vom Tier abfielen. „Wir stellten fest, dass Große Abendsegler besonders dann mit hoher Wahrscheinlichkeit Windkraftanlagen anflogen, wenn diese in der Nähe von Fledermausquartieren standen“, sagt Voigt. Fledermäuse nutzen exponierte Strukturen oftmals als sozialen Treffpunkt. Vermutlich fliegen sie deshalb vermehrt Windkraftanlagen über den Baumkronen an, wenn die Anlagen in der Nähe von Quartieren stehen. Dies birgt ein hohes Risiko für die Tiere, mit den Rotorblättern zu kollidieren. „Windkraftanlagen müssten demnach in ausreichender Entfernung zu bestehenden Baumquartieren aufgestellt werden“, fordert Christine Reusch, Erstautorin des Aufsatzes. „Da Quartiere jedoch auch neu entstehen können, besteht die Gefahr, dass vermeintlich sichere Windkraftanlagen, die während der Genehmigungsphase in ausreichend großem Abstand zu Fledermausquartieren aufgestellt wurden, später zur Todesfalle werden“, schließt Reusch.

Die Autor:innen stellten auch fest, dass die Großen Abendsegler jenseits von Baumquartieren die Windkraftanlagen mieden. Hierzu führten sie eine Datenanalyse durch, in der alle Ortungen in der Nähe von Quartieren unberücksichtigt blieben. Diese Analyse ergab, dass Fledermäuse jenseits von Quartieren Windkraftanlagen meiden. „Was sich nach einer guten Nachricht anhört, birgt auch ein Problem“, sagt Voigt. „Durch das Meidungsverhalten verlieren Große Abendsegler wichtige Jagdlebensräume.“ Die Forschenden empfehlen daher, Windkraftanlagen erstens nicht in Wäldern aufzustellen und zweitens besonders achtsam zu sein, falls es keine Alternativen gibt. Es sollte ein Mindestabstand von 500 m zwischen Windkraftanlagen und bekannten Fledermausquartieren in den Genehmigungsverfahren berücksichtigt werden und der Lebensraumverlust in der Nähe der Windkraftanlagen an anderer Stelle kompensiert werden. Ein naturverträglicher Ausbau ist angesichts der komplexen Interaktion der Fledermäuse an Windkraftanlagen in Wäldern eine große Herausforderung, so Voigt und Reusch.

Publikation: Reusch C, Paul AA, Fritze M, Kramer-Schadt S, Voigt CC (2022): Wind energy production in forests conflicts with tree-roosting bats. Current Biology. DOI: 10.1016/j.cub.2022.12.050.

Quelle: https://www.izw-berlin.de/de/pressemitteilung/kollisionsrisiko-und-lebensraumverlust-windraeder-in-waeldern-beeintraechtigen-bedrohte-fledermausarten.html

Download: https://www.researchgate.net/publication/367318905_Wind_energy_production_in_forests_conflicts_with_tree-roosting_bats

Baumquartiere: Maßnahmen bei vorhabenbedingter Zerstörung

Hinweisblatt der Koordinationsstellen für Fledermausschutz in Bayern zu artenschutzrechtlichen Maßnahmen für vorhabenbedingt zerstörte Fledermausquartiere. Das Hinweisblatt bietet für Eingriffsverursacher, Planungsbüros und Genehmigungs- und Fachbehörden eine wichtige Planungsgrundlage. Gleichwohl kann es erforderlich werden, die konkreten Umsetzungshinweise für den Einzelfall anzupassen. Hier sollte eine frühzeitige Abstimmung zwischen dem Planungsbüro und den Naturschutzbehörden erfolgen. Das Hinweisblatt ist als Hilfestellung zu verstehen und weder allgemein- noch behördenverbindlich.

Sind in einem Wald Fledermäuse und Bäume mit Quartierstrukturen (Höhlen, Spalten) vorhanden, ist davon auszugehen, dass alle diese Strukturen essenzielle Fortpflanzungs- und Ruhestätten von Fledermäusen sind. Denn es kann in der Regel nicht belegt werden, dass ein Quartier nicht genutzt wird. Werden durch Eingriffe Bäume mit Quartierstrukturen beseitigt, müssen daher die Zugriffsverbote nach § 44 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) beachtet werden: Tötungsverbot, Störungsverbot und Schädigungsverbot. Auch eine Entwertung von Quartieren (z. B. wenn künstliches Licht die weitere Nutzung einer Baumhöhle verhindert) entspricht rechtlich einer Beschädigung oder Zerstörung der Fortpflanzungs- und Ruhestätten. Vermeidungsmaßnahmen, vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen (CEF), Maßnahmen zur Minderung der Eingriffsfolgen und populationsstützende Maßnahmen (FCS) verhindern einen Verstoß gegen diese Verbote bzw. reduzieren negative Auswirkungen eines Vorhabens.

Erfassung der Quartiere

Vor dem Eingriff ist stets eine Erfassung potenzieller Quartierbäume und Baumquartiere durch eine fledermauskundlich erfahrene Fachkraft durchzuführen.

Vermeidung einer Zerstörung/Entwertung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten

Eine Zerstörung von Quartieren an/in Bäumen kann vermieden werden durch:

  • Verringerung des Eingriffsbereichs und -umfangs
  • Entlastungschnitt ohne Beeinträchtigung der Quartierstrukturen
  • Köpfen geeigneter, ausschlagfähiger Bäume oberhalb der Quartierstrukturen

Eine Entwertung von Quartierkomplexen durch Eingriffe im Umfeld lässt sich z. B. durch Abschattung der Quartiere (bei Gefahr einer Aufhellung) oder Aufwertung bzw. Neuschaffung angrenzender Jagdhabitate (beim Verlust essenzieller Jagdlebensräume) vermeiden.

Vermeidung einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos und / oder einer erheblichen Störung

Für die Fällung von Bäumen mit Quartierstrukturen ist eine Begleitung durch eine Fachkraft erforderlich. Der Umfang der Begleitung hängt von der Jahreszeit ab (Tab. 1) und reicht von einer Einweisung der Fällteams bis
zur Durchführung konkreter Maßnahmen durch die Fachkraft. Ohne nähere Begutachtung sollten Bäume mit Quartierpotenzial nur in den Zeiträumen vom 11.09. bis 31.10. (vorrangig) oder vom 16.03. bis 30.04. gefällt
werden. Ansonsten sind weiterführende Untersuchungen nötig. Sind Quartiere besetzt, bedingt dies in der Regel eine Verschiebung der Fällung. Maßnahmen zur Vermeidung einer signifikanten Erhöhung des Tötungsund Verletzungsrisikos (Tab. 2) sind zu allen Zeiten erforderlich (z. B. nächtliche Fällung, sanftes Bergen der Quartierstrukturen, Einwegverschluss).

CEF-Maßnahmen

Folgende Maßnahmen eignen sich zum Erhalt der ökologischen Funktion (hier: Quartierverbund) im räumlichen Zusammenhang:

  • Fledermauskästen (nur falls die betroffenen Fledermauspopulationen bereits Kästen nutzen)
  •  Ringeln von Bäumen zur Schaffung von Spaltenquartieren hinter abstehender Rinde
  • Bohrung künstlicher Höhlen in lebende Bäume.

Maßnahmen zur Minderung der Eingriffsfolgen

Im Zusammenhang mit der Beseitigung von Fledermausquartieren eignen sich hierfür:

  • Anbringung von Stammstücken mit bestehenden Quartierstrukturen an Bäumen
  • Lebendverpflanzung von Quartierbäumen
  • Kappen von Bäumen oberhalb von Natur- oder Bohrhöhlen (bei Absterben des Baumes)

FCS-Maßnahmen

FCS-Maßnahmen beziehen sich auf die Populationen der betroffenen Fledermausarten in der biogeografischen Region. Wo eine Zielart bereits Kästen nutzt, aber dennoch Quartiermangel besteht, eignen sich zusätzliche
Kästen. Ist eine Kastennutzung am vorgesehenen Standort nicht belegt, eignen sich die Maßnahmen „Ringeln von Bäumen“ und „Bohren von Baumhöhlen“ in Verbindung mit der Förderung von Spechten, dem Verzicht auf
Nutzung ausreichend großer, älterer Waldbereiche und waldbaulichen Maßnahmen zur dauerhaften Erhöhung des Totholzanteils. Zur Unterstützung von Populationen, die nicht durch das Quartierangebot limitiert werden,
bzw. als Ergänzung neben einer Optimierung der Quartiersituation eignen sich Maßnahmen zur Verbesserung des Nahrungsangebots (Beispiele: Anlage von Extensivweiden, Gewässern, Staudensäumen an Waldrändern,
Vernetzung von Jagdhabitaten, Förderung von Eichen).

Ergänzende forstwirtschaftliche Maßnahmen

Bei allen Maßnahmen, die künstliche oder temporäre Quartiere beinhalten (Kästen, Bohrhöhlen, Anbringung von Stammstücken etc.) sind zusätzlich ergänzende forstwirtschaftliche Maßnahmen erforderlich, um mittelund langfristig ausreichend natürliche Quartiere zu schaffen:

  • Altbäume aus der Nutzung nehmen, möglichst in Gruppen
  • Erhöhung der Bestandsdichte von Spechten als „Baumeister“ natürlicher Quartiere durch Anreicherung von stehendem Totholz durch Ringeln von Stämmen, Kappen von Bäumen etc.

Nur durch die Förderung von Spechten entstehen kurzfristig zusätzliche (!) Höhlen in den aus der Nutzung genommenen Bäumen.

 

Quelle:
ZAHN, A., HAMMER, M. & PFEIFFER, B. (2021): Vermeidungs-, CEF- und FCS-Maßnahmen für vorhabenbedingt zerstörte Fledermausbaumquartiere. Hinweisblatt der Koordinationsstellen für Fledermausschutz in Bayern, 23 S.
Download unter Aktuelles auf: https://www.tierphys.nat.fau.de/fledermausschutz/

Download: https://www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/doc/an43205zahn_et_al_2021_cef_massnahmen.pdf

Download: https://www.tierphys.nat.fau.de/files/2021/07/empfehlung_vermeidung_cef_fcs-masnahmen_fledermausbaumquartiere_2021.pdf

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